Lisa ist vier Jahre. Das aufgeschlossene Mädchen sitzt auf einem bunten Teppich in seinem schönen Zimmer im Kinderheim Kastanienhof. Lisa spielt „Vater, Mutter, Kind“ – eine Situation, die die Kleine noch nie erfahren hat, aber bald kennenlernen wird. Denn Lisa wird demnächst zu ihren neuen Eltern ziehen. Das Ehepaar W. aus Krefeld hat nach einem intensiven Auswahlverfahren und Kennenlernen das OK von Kinderheimleitung und städtischem Kinderpflegedienst bekommen, Lisa dauerhaft bei sich aufzunehmen. Es ist für alle der Start in ein neues Leben.
In der Sprache der Sozialpädagogen heißt das „Dauerpflege“. Bislang hat ausschließlich der Pflegekinderdienst des Jugendamtes Familien betreut, die Heimkinder auf Dauer bei sich aufnehmen möchten oder aufgenommen haben. „Jetzt unterstützen wir ihn“, erzählt Sarah Haurand. Die Mitarbeiterin im Fachdienst Pflegekinder des Kinderheim Kastanienhofs kümmert sich nun gemeinsam mit fünf Kolleginnen um Begleitung, Auswahl, Vermittlung und Beratung von Dauerpflege-Familien. Nächstes Jahr wird das Team erweitert. Eine Stelle ist schon sicher, aber es müssen perspektivisch mehr sein.
„In Dauerpflege vermitteln wir ausschließlich Kinder, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr zurück in ihre Herkunftsfamilien können“, betont Heimleiter Jens Lüdert. Sie wird also erst akut, wenn das sogenannte „Rückführungsmanagement“ nicht greift, will heißen: wenn die Re-Integration des Kindes in seine Ursprungsfamilie nicht möglich ist. Denn oberstes Ziel ist die Rückkehr der Kinder zu ihren leiblichen Eltern.
Deshalb erarbeiten Jutta Ferlings und Carolin Budweg in vielen Gesprächen mit den Kindseltern, welche Perspektiven es für ein Miteinander geben kann. Erkennen beide Seiten, dass das ausgeschlossen ist, können die leiblichen Eltern ihr Einverständnis in die Vermittlung in Dauerpflege geben.
„Das spart hohen Verwaltungsaufwand und verkürzt die Verweildauer im Kinderheim“, unterstreicht Sarah Haurand.
Für rund 15 Kinder vom Kleinkind- bis zum Grundschulalter sucht der Kastanienhof in den nächsten Monaten ein festes familiäres Zuhause. Das Team ist rund um die Uhr sowohl für interessierte Paare und Familien, als auch für bestehende Dauerpflegefamilien, erreichbar.
Im Alter von drei Jahren kam Lisa in den Kastanienhof. Ihre Mutter kann sie aufgrund ihrer eigenen schwierigen Biographie, die geprägt ist von Drogenkonsum, Krankheit und Arbeitslosigkeit, nicht umfassend betreuen. Deshalb hat sie zugestimmt, dass ihre Tochter in einer Dauerpflegefamilie groß werden soll – eine wichtige und sehr emotionale Entscheidung, die sie zum Wohl ihrer Tochter getroffen hat. Es gibt auch schon zwei potentielle Familien für Lisa. Vor ihnen stehen jetzt einige Wochen oder vielleicht auch Monate, in denen sie ihre Entscheidung überprüfen werden, an Schulungen teilnehmen und zum Schluss das Kind selbst kennenlernen. Denn nur mit einer guten Prognose entlässt das Kinderheim seine Schützlinge in die neue Familie. „Es ist schließlich für immer“, betont Heimleiter Jens Lüdert und erklärt: „Neben Fakten wie Unbescholtenheit, finanzieller Unabhängigkeit vom Pflegegeld und ausreichend Wohnraum für das Kind prüfen wir auch: Wie gehen die Eltern miteinander um? Wer wird später für das Kind hauptsächlich da sein? Haben die Eltern ein Netzwerk, wenn sie einmal krank werden? Wie gehen sie mit der bisherigen Biographie des Kindes um?“ Daneben gibt es weitere, zum Teil banale Ausschlusskriterien. Hat das künftige Pflegekind eine Hundehaar-Allergie, wird es in keine Familie mit einem Vierbeiner vermittelt. Ist es aus Sicht der Pädagogen für seine Persönlichkeitsentwicklung besser, als Einzelkind aufzuwachsen, wird es in keine Familie mit Geschwisterkindern kommen. Erst nach Klärung dieser Fragen wird ein Profil der Familie erstellt, das mit denen der zu vermittelnden Kinder abgeglichen wird.
Passen Familie und Kind theoretisch zusammen und sind die künftigen Pflegeeltern nach ein paar Tagen Bedenkzeit immer noch bereit zu ihrem Schritt, folgt das erste Treffen im Kastanienhof – für alle Beteiligten ein hoch emotionaler Moment.
Heimleiter Jens Lüdert dazu: „Ab jetzt muss alles ganz langsam gehen. Das Kind bestimmt das Tempo in der Anbahnungsphase.“ Entscheidend neben allen harten Fakten ist die Chemie. Wie riecht das Kind? Wie fühlt es sich an, wenn man es auf dem Arm hat?“ Nach den ersten Kontakten im Heim gehen die Eltern auch schon mal alleine mit dem Kind nach draußen und machen vielleicht beim nächsten Mal einen gemeinsamen Ausflug. Erst danach lernt es das neue Zuhause kennen.
„Irgendwann spüren alle Beteiligten den Punkt, an dem das Kind in die Obhut der Familie gegeben werden kann“, weiß Jens Lüdert. Der Pflegekinderdienst der Stadt Krefeld gibt letztendlich grünes Licht für die endgültige Vermittlung in die Dauerpflegefamilie. Für Lisa ist übrigens schon an ihrem 5. Geburtstag „Vater, Mutter, Kind“ kein Spiel mehr, sondern glückliche Familien-Realität.
Anmerkung der Redaktion: Die Geschichte von Lisa ist frei erfunden, basiert aber auf den täglichen Erfahrungen des Kinderheims Kastanienhof.
Kinderheim Kastanienhof, Kaiserstraße 103 a, 47800 Krefeld, Telefon: 02151-507-310
info@kinderheim-kastanienhof, www.kinderheim-kastanienhof.de
Gastfamilien für Flüchtlingskinder
Gastfamilien auf Zeit sucht das Kinderheim Kastanienhof in Kooperation mit dem Jugendamt auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. „Es werden aber nur Jugendliche vermittelt, die ausdrücklich in eine Familie wollen“, betont Sarah Haurand, sozialpädagogische Mitarbeiterin im Kastanienhof. Die meisten sind zwischen 15 und 17 Jahre alt und bleiben maximal bis zum 18. Lebensjahr in den Gastfamilien. Natürlich sind auch Verlängerungsanträge möglich, wenn Familie und Flüchtling zusammen bleiben wollen.