Von Christiane Kathrin Dase
Ein Kind lieben, aber auch loslassen können – das ist Voraussetzung für die Pflege auf Zeit. Eine Mutter erzählt von ihren Erfahrungen.
Die kleine Leonie * liegt schlafend in Rebecca Langes * Armen und sieht dabei ziemlich zufrieden aus (* Namen von der Redaktion geändert). Wie schwierig Leonies Start ins Leben war, sieht man dem erst wenige Wochen alten Baby nicht an. Als Leonie im Krankenhaus zur Welt kam, machte ihre Mutter auf die Schwestern einen desorientierten und verwirrten Eindruck. Eine Blutuntersuchung ergab, dass die Frau kurz zuvor Drogen konsumiert haben musste. Das Krankenhauspersonal informierte das Jugendamt, bei einem Hausbesuch stellten die Mitarbeiter fest, dass die Mutter gar nicht auf die Geburt ihrer Tochter vorbereitet war – in der Wohnung gab es keinen Wickeltisch, kein Babybettchen, nichts was auf den Einzug eines Neugeborenen hindeutete. Das Jugendamt nahm die kleine Leonie in Obhut, derzeit lebt sie bei Rebecca Lange und ihrer Familie – so lange, bis das Mädchen zu ihrer leiblichen Mutter zurück kann oder von einer Pflegefamilie aufgenommen wird.
„Dass wir den Bedarf decken, ist illusorisch. Aber aktuell haben wir keinen einzigen Platz frei.“
Sarah Haurand, Bereichsleiterin Pflegekinder beim Kinderheim Kastanienhof über die Notsituation vieler Kinder:
Die Langes sind Pflegeeltern auf Zeit. Leonies Geschichte basiert auf den vielen Einzelschicksalen der Mädchen und Jungen, denen das junge Paar aus Krefeld in den vergangenen drei Jahren ein Zuhause gegeben hat. Zehn Kinder, das jüngste von ihnen gerade einmal einen Tag, das älteste fast vier Jahre alt, haben die 28-jährige Mutter von zwei leiblichen Kindern und ihr Mann in der Bereitschaftspflege betreut. Weil die leiblichen Eltern an psychischen Erkrankungen leiden, alkohol- oder drogenabhängig sind, keinen familiären Rückhalt haben, selbst Opfer von Vernachlässigung und Missbrauch wurden oder in verwahrlosten Zuständen leben, die es – zumindest für den Moment – unmöglich machen, dort ein Kind aufwachsen zu lassen. „Man sieht, wie die Kinder aufblühen, größer werden und in der kurzen Zeit so viele Dinge lernen. Das ist einfach schön“, erzählt Rebecca Lange.
„Man sieht, wie die Kinder aufblühen, größer werden und in der kurzen Zeit so viele Dinge lernen. Das ist einfach schön.“
Rebecca Lange, Pflegemutter
Etwa 35 Kinder sind derzeit in rund 30 beim Kinderheim Kastanienhof registrierten Pflegefamilien auf Zeit untergebracht. Den Bedarf allerdings deckt das lange nicht. „Im vergangenen Jahr haben wir 80 Anfragen zur Unterbringung von Kindern in Bereitschaftspflegefamilien abweisen müssen“, verdeutlicht Sarah Haurand, Bereichsleiterin Pflegekinder beim Kastanienhof, die Notsituation – und die händeringende Suche. „Hier brennt es wirklich. Dass wir den Bedarf decken, ist illusorisch. Aber wir haben aktuell keinen einzigen Platz frei.“ Dabei nehme nicht die Kindeswohlgefährdung zu, „aber es wird mehr gemeldet und weniger unter den Teppich gekehrt als früher“, vermutet Haurand.
Mehr als 80 Kinder und Jugendliche leben im Kastanienhof
Im Kinderheim an der Kaiserstraße selbst leben derzeit mehr als 80 Kinder und Jugendliche zwischen vier und 18 Jahren. In so genannten Regelgruppen werden bis zu neun Kinder dort rund um die Uhr in familiennahen Strukturen von Erziehern im Schichtdienst betreut, zudem gibt es zwei Außenwohngruppen.
Die Säuglingsgruppe für Babys und Kleinkinder gibt es seit zehn Jahren nicht mehr. Aus gutem Grund, wie Sarah Haurand erklärt: „Bindungsverhalten entwickelt sich im Alter zwischen sechs Monaten und drei Jahren und ist ganz entscheidend dafür, wie ein Mensch in seinem späteren Leben Bindung zu anderen aufbauen kann.“
Dabei gehe es um essenzielle Bedürfnisse wie: „Kommt sofort jemand, zum Trösten, wenn ich schreie, wechselt die Windeln, füttert mich? Jedes Stück Kontinuität bleibt im Kind verankert.“ In Säuglingsgruppen mit wechselnden Erziehern sei das erfahrungsgemäß schwierig gewesen, sagt die Pädagogin. Anders als in der Bereitschaftspflege, bei der sich Pflegeeltern wie Rebecca Lange und ihr Mann um das Kind kümmern. „Für viele ist es eine Herzensangelegenheit“, sagt Sarah Haurand. Dabei entscheide sich die Motivation von Bereitschafts- und Vollzeitpflegeeltern grundsätzlich: „Das Ziel der Menschen, die sich für eine Pflege auf Zeit entscheiden, ist es, den Kindern in dieser kurzen Zeit etwas Gutes für ihr weiteres Leben mitzugeben. Man muss dazu bereit sein, die Kinder sofort zu lieben – aber auch wieder abgeben zu können.“
Zwischen drei und sechs Monaten im Schnitt bleiben die Kinder in den Bereitschaftspflegefamilien – dass es manchmal länger wird, weiß Rebecca Lange aus eigener Erfahrung. Mit drei Wochen kam der kleine Max in ihre Familie. Er blieb 16 Monate, bevor er mit seiner lieblichen Mutter in eine Mutter-Kind-Einrichtung zog. Die Trennung sei allen nach dieser Zeit nicht leicht gefallen, erinnert sich die 28-Jährige. Aber dann sagt sie sich: „Wir haben in dieser Zeit das bestmögliche für dieses Kind getan. Für meinen Mann und mich und auch für unsere Kinder steht fest: Wir wollen noch so vielen anderen helfen.“